Florians Abenteuer oder: Wie ein Igel seinen Aufenthalt in der Pflegestation erlebt

Hallo, ich bin Florian. Ich bin knapp ein Jahr alt und ein Igel!

Seit ich aus meinem ersten Winterschlaf aufgewacht bin, rasselte es in meinen Atemwegen, und fressen mochte ich auch nicht so recht, obwohl doch Frühling ist. Und es krabbelte überall [Flöhe und Zecken]. Irgendwie fühlte ich mich krank. Dann kam plötzlich eine Menschenfrau [die Igelfinderin] und hob mich hoch, sagte was nett Klingendes zu mir und trug mich in ihre Behausung. Da war schon wundersamerweise ein ringsum begrenzter Aufenthaltsraum für mich vorbereitet mit einem Pappnest, Wasserstelle und etwas zum Fressen, was ich in dem Moment aber nicht mochte.

Die Menschenfrau setzte mich später auf eine weiche Unterlage und fing an, mit einem kalten Greifer an den verschiedensten Stellen an meinem Körper anzusetzen, und dann piekte es jedes Mal [Zeckenentfernung]. Sie sprach wieder mit diesem beruhigenden Tonfall zu mir, aber irgendwann konnte ich das alles nicht mehr ab und zappelte derartig, dass sie mich dann endlich in Ruhe ließ. Was das wohl sollte?!

Dann kam jemand [von der Igelhilfe Hemmingen] zu Besuch und piekte mich so richtig, und dann drückte es irgendwie [Antibiotikum-Spritze gegen Bronchitis] Ich habe mich gewehrt, so sehr ich konnte. Es war dann aber schnell vorbei. Anschließend bekam ich einen nett schmeckenden Brei [laktosefreie Sahne mit zermörserter Droncittablette, gegen Darmparasiten], und die Menschenfrau freute sich sehr, dass ich den wegschlabberte.

Oh je, und dann wurde ich in ein anderes Pappnest gesetzt, und das wurde am Ausgang zugemacht. Eine Weile schaukelte alles um mich herum, erst geräuscharm, dann aber mit Gebrumm, ganz schön lange [Autofahrt zur Igelstation Göpner]. Da hatte ich wirklich Angst und musste ziemlich viel hinten raus von mir geben, eigentlich alles, was noch so in mir drin war.

Endlich hörten der Krach und das Gewackel auf. Plötzlich ging der Eingang von meinem neuen Schlafnest wieder auf, und die Umgebung sah ähnlich aus wie vorher. Es roch aber anders, und irgendwie schienen mir andere Igel ganz in der Nähe zu sein. Der eine Geruch kam mir sogar so vertraut vor, als sei ich mit dem Kerl, der ihn ausströmt, mal im Kindernest zusammen groß geworden [gleichaltriger Igel vom selben Fundort, jetzt in der Nachbarbox].

Na ja, es war da ja ganz nett: Das Futter, das da stand, schmeckte mir plötzlich (obwohl es auch nicht ganz was anderes war als das, was es ein paar Tage zuvor gab), und mein Bäuchlein war ganz schön rund danach.

Am nächsten Tag kam eine neue Menschenfrau [Gertraude Göpner] und holte mich aus dem Schlafnest: „Blablabla“ oder so sagte sie: Es klang ganz beruhigend, aber dann fing das Gepieke an allen möglichen Stellen meines Körpers wieder an [Zeckenentfernung, zweite Etappe]. Und schließlich machte es „Pff pff pff[Frontline-Antiflohspray] und es roch, als sollte ich die Besinnung verlieren. Dann kam nochmal so ein Pieken und anschließendes Drücken wie schon zwei Tage vorher [zweite antibiotische Spritze]! Was machen diese Menschen bloß? Ob die wissen, was sie tun?! Nach dem dritten Pieken und Drücken war mit dieser Prozedur Schluss. Stattdessen war jetzt mehrere Abende ein nach nichts schmeckendes weißes Pulver [Flubenol gegen Haarwürmer] auf meinem Essen. Ich habe erstmal alles drumrum gefressen, aber ich hätte zu viel übriglassen müssen, wenn ich das Pulver gar nicht hätte verschlucken wollen. Also habe ich es dann mitgefressen. Hinterher war mir immer ein kleines Bisschen unwohl im Bauch. Irgendwann hörten sie wieder auf, mir das Zeug drauf zu streuen. Stattdessen piekte es dann noch zweimal [Levamisolspritzen gegen Lungenwürmer] – aber das habe ich heldenhaft ertragen und auch hinterher nicht gebrochen, obwohl mir kurze Zeit danach zumute war.

Jedenfalls geht es mir nun immer besser, seit sie mich eingefangen haben. Der Eingang zum Schlafnest wird scheinbar immer kleiner, so dass es inzwischen echt mühsam ist, rein und raus zu kommen. Und eigentlich will ich jetzt wieder zurück in mein richtiges Zuhause, nämlich Bodenpflänzchen, Erde, Gebüsch mit dunklen Blättern, interessante Graswiesenflächen und Holzstapel, wo man den Tag veschlafen kann. Und vor allem: nette Igelfrauen, die man vielleicht überzeugen könnte, dass man der einzig Richtige ist, um Vater der diesjährigen Kinder zu werden!!!

In der Nacht, als alles ruhig geworden war, bin ich raus aus meinem Schlafnest und bin mit einem kräftigen Klimmzug auf dessen Dach geklettert. Dann wieder nach oben ausgestreckt und festgestellt: auf die benachbarte höhere Fläche [Deckel der Nachbarbox] schaffe ich es mit links. Danach ging’s eine kleine Stufe runter [auf die Arbeitsfläche], dann stand da dieses runde Etwas [die Waage], in das sie mich jeden Morgen setzen und dann irgendwas rufen… Das Ding habe ich umgerannt, und dann kam ein Abgrund [Ende der Arbeitsfläche]. Ich habe lange überlegt, ob ich es wage, in eine ungewisse Tiefe zu springen, aber dann dachte ich an die Igelfrauen und …. Bummm, es war etwas heftig, aber ich hatte mich ja vorsorglich zusammengerollt. Nun ging ich los, zu erkunden, wo ich wohl war!

Der Boden war nett weich und ziemlich einheitlich [Teppichfußboden im Vorkeller]. An der einen Seite war eine Mauer [Wand]. Ich bin, auch als die Mauer für ein paar Schritte aufhörte [offene Tür des Nachbarkellerraumes], weiter geradeaus gegangen und dann hierlang und dalang. Ein paar Vorsprünge stellten mich vor die Wahl ob links oder rechts, ich bin immer an denen vorbei, und dann musste ich mal [im Sportkeller] – vielleicht auch der Aufregung geschuldet. Dann folgte ich dem Geruch der von den Menschen meistens gegangenen Wege und war plötzlich auf einem ganz glatten, kalten Boden. Da musste ich noch mal wieder und habe auch gleich mal die Blase entleert [in der Hobby-Werkstatt]. (Das mache ich sowieso immer am liebsten auf glatten Flächen, auch draußen, wenn z. B. inmitten des Grases mal eine flache Steinfläche kommt.)

Als es dann gar nicht mehr weiterging und nirgends etwas Fressbares zu finden war, bin ich umgekehrt, den ganzen Weg zurückgegangen und da, von wo es ganz verheißungsvoll nach frischer Draußenluft roch, an eine Wand gestoßen [unterste Stufe der Kellertreppe]. Ich wollte so gern an diese schöne frische Luft, dass ich mich hochgereckt habe und merkte: Da komme ich rauf! Plötzlich war ich eine ganze Stufe höher, und da fand ich weiche ovale Objekte, die vorne spitz waren und ganz unterschiedlich rochen [Plüschigel auf der Kellertreppe]… Die habe ich angebufft und bin ihnen auf die Oberseite gestiegen, bis ich wieder auf stabiler Grundfläche ankam. Das habe ich mit neuer Kraft und unbedingtem Willen ziemlich oft wiederholt, um an die frische Luft zu kommen, die von oben herab duftete.

Schließlich gab es keine weitere Barriere mehr, und ich marschierte los: Erst ein ganz weicher, kuscheliger Untergrund [Teppich in der Essdiele], dann ein netter Holzboden [Parkett im Wohnzimmer], an dessen Ende ich nochmal ein kleines Häufchen machen musste, dann war da die Welt zuende. Ich bin umgekehrt, an einer Spalte vorbeigekommen [Terrassentür], aus der es ganz, ganz schwach so roch, als wäre da das Ziel all’ meiner Hoffnungen. Aber die Spalte war so schmal wie eines meiner Haare, und es war nichts zu machen. Dann stellte ich fest: Ich sehe plötzlich ganz schön viel!! Es wird hell in der Welt!

Oh, da war eine dunkle Zuflucht [Geschirrschrank in der Essdiele]. Ich verkroch mich darunter in der hintersten Ecke und dachte: Da mache ich jetzt meinen Tagesschlaf. Danach sehen wir weiter. Es war alles so aufregend gewesen, dass ich nur mit ziemlich lautem Rattern atmen konnte, und noch bevor ich mich ganz beruhigt hatte, hörte ich plötzlich ein Tapp tapp tapp: Da näherte sich ganz offenhörlich von oben kommend ein Mensch [Manfred Göpner, morgens um 5 Uhr]!!! Der ging erst hierhin und dann dorthin, und dann blieb der Mensch wie angewurzelt stehen. Au weia, er hatte mich gehört! Ich konnte aber beim besten Willen nicht geräuschlos atmen, verdammt noch mal! Dann kam der Mensch langsam näher und lag plötzlich Aug’ in Aug’ mit mir auf dem Bauch, keine drei Igellängen von mir entfernt, obwohl ich doch so prima in der hinterletzten Ecke saß, die sich hatte finden lassen.

Der Rest meiner Geschichte ist ganz blöd: Der Mensch langte nach mir, hielt mich gleich sehr geschickt fest, so dass ich weder beißen noch ausreißen konnte, und trug mich mit irgendwelchen Ausrufen in die umgrenzte Kiste zurück. Dort war das Futter, das seit Stunden noch auf mich wartete, ein willkommenes Versöhnungsangebot für mich – wenn ich nun schon wieder in meine Box gesetzt worden und nicht in die Freiheit gelangt war.

Hier sitze ich nun noch, und letzte Nacht ist es mir nicht wieder gelungen, rauszukommen. Als ich auf dem Dach meines Schlafhauses saß, war da noch ein schweres Dach oben drüber [der Boxendeckel, der in der Nacht zuvor vergessen worden war], dessen Anfang ich nicht erreichen konnte zum Hochziehen. Ich habe aus Protest einen Haufen auf das Schlafhausdach gek…t und bin frustriert wieder runtergesprungen.

Ich fühle mich den Menschen nun endgültig ausgeliefert und hoffe sehr, dass sie sich eines Tages überlegen, dass ich in der Natur doch besser aufgehoben sei als in so einer Kiste.

Zwischendurch bis heute gab es nur wenig Abwechslung. Aber gestern morgen, nachdem ich wieder mal in dieser runden, rätselhaften Plastikschüssel [Waage] zum Stillhalten gezwungen worden war (die legen mich auf den Rücken und pusten mich dann ganz ekelhaft kräftig an, Brrrr), musste ich wider meinen Willen noch in einem Handtuch auf dem Arm der Igelpflegefrau warten, bevor sie mich wieder in meine Box setzte. [Die Box war noch nicht fertig gereinigt.] Da bin ich wie eine Schlange nach vorne geschnellt und habe der Frau in den Unterarm gebissen. Hat die schön gekreischt!!! Ich hab’ genau erreicht, was ich wollte: bin zu meiner Zufriedenheit sofort in mein noch schön unaufgeräumtes Schlafhaus gekommen und hatte meine Ruhe.

Heute Vormittag kam ich mal wieder mit dem verschlossenen Schlafhaus in diese wackelnde brummende Umgebung, und dann holte mich plötzlich eine ganz neue Frau [Tierärztin] von oben aus dem Schlafhaus. Sie hielten mich zu zweit fest, dann wurde es ganz leise, und ich bekam ein rundes, kaltes Ding [Stethoskop] an verschiedenen Stellen unter den Bauch gedrückt. Auch wenn ich noch immer nicht wirklich geräuschlos atmen kann, hörte ich danach von allen anwesenden Menschen irgendwas Entschlossenes in zufriedenem Tonfall!! Ob das wohl bedeutet, dass sie mich nun meiner Wege ziehen lassen wollen ???


Nachtrag: 

Die Tierärztin hatte befunden, dass die Atemgeräusche nur noch aus den oberen Atemwegen stammten und die Lunge frei war. 

Florian ist zwei Tage später von der Finderin abgeholt und in seinem angestammten Garten wieder ausgewildert worden. Seitdem mischt er dort an der Futterstelle die gesamte Igelpopulation auf und schickt sich an, das dominanteste Männchen des Gartens zu werden.

Die restlichen Atemgeräusche waren 14 Tage später verschwunden.