Einklang mit Natur und Ethik!

Der ganz überwiegende Teil der Igel, die in Igelstationen gebracht werden, ist

durch menschliche Einwirkung in Not geraten: Man denke an

  • schwerste Verletzungen durch schweres Gartengerät oder im Straßenverkehr
  • die Unterernährung, die extreme „Wohnungsnot“ durch immer kleiner werdende Lebensräume, die Dezimierung der Beutetiere
  • die Zerstörung von Nestern, das Vertreiben der Muttertiere usw. usw.

Hier zu helfen, stellt keinen Eingriff in die Natur dar, der aus ökologischen Gründen abzulehnen wäre. Vielmehr sollten Menschen es als eine kleine Linderung dessen betrachten, was sie der Gattung Igel (und anderen Wildtieren…) antun.

Außerdem ist es ein Gebot der Ethik, einer in Not geratenen Kreatur zu helfen und sie nicht ihrem Leid und ihren Schmerzen zu überlassen. Wie wollen wir unseren Kindern Naturschutz, Nachhaltigkeit und moralisch verantwortungsvolles Handeln nahebringen, wenn wir einen hilfsbedürftigen Igel unter den Busch schieben mit dem Hinweis „das ist natürliche Auslese!“? 

Bedrohte Tierart!

Es steht zu vermuten, dass der Bestand des einheimischen Igels rückläufig ist.

In den 70er Jahren ergab eine Zählung in den „alten“ Bundesländern ein Ergebnis von rund 500 000 überfahrenen Igeln pro Jahr. Bedenken wir die Zunahme des Verkehrsaufkommens seitdem, insbesondere in den damals nur mit geringer Verkehrsdichte befahrenen neuen Bundesländern, und gehen wir davon aus, dass seinerzeit mit Sicherheit bei weitem nicht alle überfahrenen Igel erfasst wurden, so liegt heute diese Zahl sehr viel höher. Wenn wir außerdem davon ausgehen, dass ein Drittel der gezählten überfahrenen Igel Igelmütter sind, steigt die Zahl überfahrener bzw. indirekt durch den Autoverkehr umgekommener Igel (ungeborene oder verhungerte Säuglinge) noch viel weiter an. Dass der Igel von der Schutzgemeinschaft Deutsches Wild als „Wildtier des Jahres 2009“ auserkoren wurde, bestätigt auch von höherer Stelle die obige These.

Verletzung durch schwere Gartenmaschinen einer Friedhofsgärtnerei*

Verletzung durch schwere Gartenmaschinen einer Friedhofsgärtnerei*

Leider ist die Populationsdichte des Europäischen Braunbrustigels in Mitteleuropa nie in streng wissenschaftlichen und großen Studien untersucht worden. Igel treffen nicht auf ausreichendes Interesse an den Tierärztlichen Hochschulen, unter anderem, weil exakte Zählungen repräsentativer Bestände schwer durchführbar sind.

Mutterlose Igelsäuglinge!

Die Ursache für das Verwaisen von Igelbabys: In nahezu allen Fällen, von denen Igelstationen erfahren, sind Igelbabys durch das Einwirken des Menschen vom Muttertier verlassen worden. Dieses hat nichts mit minderwertiger genetischer Ausstattung des Muttertiers zu tun. Es ist daher absolut unangebracht, von natürlicher Auslese zu sprechen. Und es ist eben gerade nicht der Gang der Natur.

Verlassene Igelbabys sterben, wenn ihnen nicht der Mensch schnell die richtige Hilfe zukommen lässt. Dies nicht zu tun, bedeutet, ihren Tod als selbstverständlich hinzunehmen.

Wenn mutterlose Säuglinge, oft als kompletter Wurf, in eine Igelstation gebracht werden, kommen sie in sehr vielen Fällen zusammen mit Informationen wie: „Ein großer Igel liegt überfahren auf der nahe gelegenen Straße“; oder dass das Nest bei der Gartenarbeit aus Versehen zerstört oder vom Hund durchwühlt wurde; oder dass das Muttertier durch Rattengift verendet ist, das im nahegelegenen Park oder vom Nachbarn ausgelegt wird; oder dass man das Nest so nah am Haus nicht haben will und es deshalb auseinander genommen hat.

Durch Unfall verletztes Muttertier mit 5 Säuglingen

Durch Unfall verletztes Muttertier mit 5 Säuglingen

Es wurde Handaufzucht nötig, weil das geschwächte Muttertier keine Milch mehr hatte

Es wurde Handaufzucht nötig, weil das geschwächte Muttertier keine Milch mehr hatte

Gute Chancen für ausgewilderte Igel!

Handaufgezogene Igel kommen nach der Auswilderung in der Natur gut zurecht

sogar ohne vom Menschen eingerichtete Futterstelle. Mehrere wissenschaftliche Langzeitunter­suchungen in Großbritannien (Nigel Reeve, 1998, mit Radiopeilsendern) und Deutschland (Forschungsgruppe Igel Berlin, 1999) ergaben,

  • dass die Tiere nach anfänglicher Gewichtsabnahme schnell lernten, sich selbst zu versorgen, und wieder an Gewicht zunahmen,
  • dass sie sich problemlos in eine etablierte Igelpopulation integrierten, eine solche sogar zwecks Fortpflanzung suchten (Igel gehen weder „nach Hause“, noch verteidigen sie ein Revier),
  • dass sie häufig aus ländlichen Gebieten in von Menschen besiedelte Gebiete abwanderten und
  • dass die zu Tode gekommenen Versuchsigel bis auf verschwindend geringe Ausnahmen durch menschenverursachte Unfälle oder durch Fressfeinde (Dachs, Fuchs) ums Leben gekommen waren. Diese Gefahren drohen auch den von Anfang an wildlebenden Igeln und haben nichts mit der vorübergehenden menschlichen Obhut ausgewilderter Igel zu tun.

Innenparasiten!

Wenn Igel an Innenparasitenbefall sterben, ist das keine natürliche Auslese innerhalb der Igelpopulation. Von Natur aus ist der Igel Insektenfresser. Nur hält sein heutiger Lebensraum nicht mehr genügend Käfer, Spinnen und Raupen zum Sattwerden bereit. Schnecken und Regenwürmer stehen zwar als Nahrung meistens zur Verfügung, sind aber Parasitenüberträger. Innenparasiten der Igel vermehren sich über Schnecken und Regenwürmer, die sie als Zwischenwirte für die Larvenentwicklung brauchen, und gelangen nur über diesen Weg in den Organismus des Igels.

Die ständig zunehmende Dezimierung der natürlichen Beutetiere, die permanente Nahrungs­knappheit (statt Nahrungsvielfalt) erklären den heute so hohen Anteil sehr magerer und von Innenparasiten befallener Igel. – Nach den Erfahrungen jahrzehntelanger Igelpflege war vor 30 Jahren etwa ein Igel von zehn mit Lungenwürmern befallen und musste behandelt werden, heute sind es neun von zehn. – Diese sind keineswegs minderwertige Exemplare, die nach ihrer Rettung durch den Menschen den gesamten Bestand genetisch schwächen, sondern ganz normale Igel, die bei ausreichendem Insektenangebot nicht krank geworden wären.

Futterstellen helfen Igeln!

Eine vorübergehend eingerichtete Futterstelle im Garten hilft Igeln in für sie kritischen Perioden des Jahresablaufs:

Im Frühjahr kann man Igeln durch eine zweiwöchige Zufütterung ab Mitte/Ende April mit Katzendosenfutter und Igeltrockenfutter sehr helfen, die während des Winterschlafs verlorenen Energiereserven schnell wieder aufzufüllen.

Der zweite Zeitraum, während dessen eine Futterstelle hilft, ist von September bis Ende November, um zu verhindern, dass untergewichtige (Jung-)Igel in den Winterschlaf gehen und vielleicht nie mehr daraus erwachen.

Während des Sommers kommen die Igel ohne Futterstelle aus, denn dann ist auch in unseren Hausgärten der Tisch mit artspezifischen Beutetieren einigermaßen gedeckt. Sie gehen problemlos zu natürlicher Ernährung über, sobald man die Zufütterung beendet. Lediglich für eine saubere Wasserstelle sollte man ganzjährig sorgen, auch im Sinne von Vögeln, Eichhörnchen und anderen Tieren, denn kleine Bäche, Tümpel etc. sind ja in Siedlungsräumen kaum noch zu finden.

Das Zufüttern kompensiert bis zu einem gewissen Grade das durch menschlichen Einfluss reduzierte Nahrungsangebot für den Igel. Besser wäre es natürlich, wenn so ökologisch gegärtnert und mit den Freiräumen umgegangen würde, dass der Igel wieder so viel lebende Beute findet wie in den Millionen von Jahren, als es zwar Igel, aber noch keine Menschen gab.

Ein Igel im Garten ist etwas Natürliches, Igel sind perfekt!

Igel lebten ursprünglich in offener Feldflur- und Wiesenlandschaft. Durch Landwirtschaft und urbane Bebauung sind ihre Lebensräume immer mehr beschnitten worden.

Die Igel mussten in die Gärten von Siedlungsrandbereichen ausweichen, um eine geeignete Ersatzlandschaft zu finden und um nicht zu verhungern. In unseren Gärten finden sie ein dem natürlichen Lebensraum halbwegs ähnliches Nahrungsspektrum und Versteckmöglichkeiten. Allerdings wird dies gefährdet, wenn Unkraut- und Insektenvernichtungsmittel zum Einsatz kommen und der Garten wohnzimmer­ähnlich gestaltet wird.

Igel stinken nicht, und ihre kleinen Hinterlassenschaften legen sie versteckt am Gartenrand und in Bodendeckern ab. Für Igelnester werden vorhandene Hohlräume und Nischen genutzt, so dass sie nicht als Dreck und Unordnung in Erscheinung treten. Tollwut und Läuse haben Igel nachweislich nicht, Flöhe hat längst nicht jeder Igel, und Innenparasiten und andere innere mögliche Erkrankungen sind nicht übertragbar, weder auf Mensch noch Haustier.

Für sein Leben als Insektenfresser (kaum vorstellbar feines Gehör, Geruchs- und Tastsinn), fürs Überstehen der insektenarmen Winterzeit (Winterschlaf) und für die Verteidigung gegen Fressfeinde (Stachelkleid) ist der Igel durch die Evolution hervorragend ausgestattet. Den Igel in seiner heutigen Form gibt es schon seit 15 Millionen Jahren – den Menschen erst seit ca. 100 000 Jahren. Drastisch verändert haben wir den Lebensraum erst seit 150 Jahren.

Dies sollte man bedenken, wenn man den Igel abklassifiziert und sich darüber lustig macht, dass Igel mit aufgestellten Stacheln auf der Straße sitzen bleiben und sich überfahren lassen, dass sie ihre Kinderstube in einem Sack mit Gartenerde oder unter einem Zelt bauen oder dass die Männchen nach der Hochzeit das Weite suchen.

Foto: Kerstin Hinze

Foto: Kerstin Hinze

 

Durch den Igelschutz zum ökologischen Denken bewegen!

Beim Igel handelt es sich um ein echtes Wildtier direkt in unserer Wohnumgebung, das uns, in Not geraten, ins Auge fallen muss, wenn wir nur hinschauen. Außerdem wird sein Aussehen allgemein als liebenswert empfunden. Was liegt näher, als über diesen Sympathieträger möglichst viele Menschen an den Naturschutz und an ein nachhaltiges Denken heranzuführen?

Denn:

„Wir schützen nur, was wir lieben. Und wir lieben nur, was wir kennen.”

*Der von der Friedhofsgärtnerei verletzte Igel 6 Wochen später:

*Der von der Friedhofsgärtnerei verletzte Igel 6 Wochen später