8. Es ist Ende März oder Anfang April. Ich habe einen Igel draußen herumlaufen sehen. Was soll ich tun?

Es ist Ende März oder Anfang April. Ich habe einen Igel draußen herumlaufen sehen. 

Was soll ich tun?

Szenario 1:

Nach dem langen, kalten Winter wird der Winterschlaf der Igel jetzt allmählich weniger tief. Die Fettreserven sind weitgehend aufgebraucht, und einige Igel erwachen jetzt und “gucken”, ob es wohl schon etwas zu fressen gibt. Wenn sie nichts finden und außerdem feststellen, dass es doch noch unangenehm kalt ist, verkriechen sie sich wieder.

Szenario 2:

Es kann aber auch sein, dass der Igel, den Sie beobachtet haben, in seinem Winterschlafnest durch irgendetwas aus dem Winterschlaf aufgestört worden ist (übereifrige Gärtner, Hunde, Grünflächenamtsmitarbeiter.…). Dann hat er von der besonderen Art von Fett, die zum langsamen Hochfahren des Stoffwechsels im wirklichen Frühling gebraucht wird, bereits alles auf einmal wegen der Bedrohungssituation verbraucht und hätte, wenn er so noch einmal tief in den Winterschlaf fällt, beim zweiten Aufwachen enorme Schwierigkeiten. So ein Igel muss vor einem Wiedereinschlafen mit Kalorien versorgt werden, damit dieses sogenannte braune Fett neu gebildet werden kann. Wenn es draußen noch sehr winterlich ist, ist eine häusliche Pflege ratsam, weil ein Igel bei Temperaturen unter 5° nicht fressen und wieder Fett bilden kann. Am besten, man behält das Tier dann so lange in häuslicher Pflege, bis es draußen frühlingshaft geworden ist (Bodendecker, Sträucher und Bäume ergrünt) und der Igel ausgewildert werden kann.

Szenario 3:

Genauso gut kann der Igel aber auch vorzeitig aufgewacht sein, weil seine Winterschlaf-Fettreserven so komplett aufgebraucht waren, dass ein weiteres Andauern des Winterschlafs lebensgefährlich geworden wäre. Dann wachen einige Igel auf nach dem Motto: “entweder du hast wahnsinniges Glück und findest irgendwas zu fressen – oder du schläfst wieder ein und wachst dann nie mehr auf.” Diese Igel haben nur noch eine geringe Körperspannung und sehen meistens extrem untergewichtig aus: schlotterndes Stachelkleid, einen eingekerbten Hals („Hungerfalte“), scheinbar besonders lange Beine, spitzer Kopf, herausragende Schulter- und Beckenknochen und/oder eingefallene Flanken. Wenn Sie finden, dass dies zutrifft, nehmen Sie bitte umgehend per Email Kontakt mit mir auf.

Wenn eher Szenario 1 oder 2 zutreffen,

schlage ich Ihnen vor, dass Sie sich Igeltrockenfutter von Vitakraft besorgen (lose erhältlich bei „Fressnapf“, „Miezebello“ oder „Futterhaus”, bitte unbedingt darauf achten, kein Produkt für exotische Igel verkauft zu bekommen). Von dem Trockenfutter stellen Sie Ihrem Igel ein Schälchen unter einen Regenschutz (umgedrehte Apfelsinenkiste mit draufgetackerter Plastikfolie, alter Wäschekorb oder Ähnliches, jedes mit einem 10x10cm großen Eingang für den Igel) direkt vor das Winterschlafnest oder gegebenenfalls in sein Igelhaus oder, wenn Sie nicht wissen, wo das Winterschlafnest war/ist, dorthin, wo Sie den Igel beobachtet haben. So bleibt es trocken und hält sich, wenn der Igel es nicht gleich auffrisst. Frisst er es aber auf, füllen Sie den Napf nach.

Wenn es dann, sagen wir Ende April, deutlich wärmer geworden ist und der Igel jede Nacht sein Trockenfutter auffrisst, können Sie auf Katzendosenfutter umstellen. Wir füttern, egal welches Fabrikat, immer die Sorte “Rind” und drücken es mit Gabel oder Kartoffelstampfer zu Brei. Unter 150 bis 200 g dieses Breis werden pro Nacht 1 Tl. Speiseöl und 3 gehäufte El. Igeltrockenfutter untergerührt. Denn der Igel braucht außer Eiweiß auch Fett und Kohlenhydrate, um (wieder) zu Kräften zu kommen.

Lesen Sie für weitere Details den entsprechenden Text zum Thema Futterstelle!

Szenario 4:

Wenn Ihr Igel Ende April das für ihn bereitgestellte Feuchtfutter nicht frisst, auch wenn er wach und warm ist, stimmt irgendetwas nicht mit ihm. Dann wäre es gut, wenn Sie den Igel aufnehmen und sich mit mir in Verbindung setzen, damit er entwurmt bzw. medizinisch versorgt wird.

Bitte gehen Sie dann mit dem Igel aber lieber nicht zum Tierarzt: viele Tierärzte kennen sich mit Igeln nicht gut aus, weil der Igel im Tierarztstudium nur sehr am Rande vorkommt, und geben in guter Absicht falsche oder dem Zustand und Alter des Tieres nicht angemessene Medikamente. (Auf keinen Fall dürfen Ivomec oder Advocate oder irgendein anderes Spot-On-Präparat bei Igeln verwendet werden. Sie sind für Hunde und Katzen entwickelt und lassen sich nicht einfach per Dreisatz auf das Gewicht des Igels umrechnen, denn der Igel verstoffwechselt ganz anders als andere Tiergattungen.)

Wenn Sie den Igel aufgenommen haben, stellen Sie bitte die Kiste, in die Sie den Igel gesetzt haben, ins Haus! Der Igel muss richtig warm stehen, bei Wohnzimmertemperatur, mindestens 20° !!! Auch auf dem Boden der Kiste. Das ist außerordentlich wichtig!!! Der Stoffwechsel muss richtig in Gang kommen, und wenn er bei niedrigeren Temperaturen in einer Kiste in Gefangenschaft steht, braucht er alle aufgenommenen Kalorien, um die Körpertemperatur aufrecht zu halten. Auch wenn Sie die Kiste isolieren, muss das Tier ja die Wärme erstmal selber produzieren. Ich schreibe dies so eindringlich, weil es immer wieder geschieht, dass unwissende Igelfinder die Igel auskühlen lassen. Wenn das Tier geschwächt ist, kann schon eine weitere Nacht im Kalten das Ende bedeuten. Außerdem wäre es gut, wenn Sie bitte alle Hinweise des Textes Nr. 21 „Unterbringung, Futter, med. Behandlung, Auswilderung des Pflegeigels” beachten.

Wenn der Igel dann völlig okay ist und ca. 750 g (als ein im letzten Herbst geborenes Jungtier)  bzw. um die 1000g (als sog. Alttier) wiegt und wenn Bäume, Sträucher und Bodendecker voll ergrünt sind, kann ein im Frühjahr aufgenommener Igel in die Natur entlassen werden. Mit einer Futterstelle im Garten für noch 2 Wochen helfen Sie ihm zusätzlich, draußen (wieder) zurecht zu kommen. Tipps dazu entnehmen Sie gern auch dem Text zur Auswilderung im Frühjahr.