Die folgenden Texte wurden in der Schule, auf deren Schulhof der Igel Alex gefunden wurde, an dem jeweiligen Datum mit Fotos bestückt am Schwarzen Brett aufgehängt und von der gesamten Schülerschaft mit großer Anteilnahme verfolgt.
4.3.
Mein Name ist Alex. Am 27. Februar bin ich vorzeitig aus meinem Winterschlaf erwacht, weil ich so mager geworden war, dass ich keine Reserven mehr hatte, um bis zum April weiter zu schlafen. Auf der Suche nach etwas Fressbarem bin ich tagsüber auf dem Schulhof einer hannoverschen Schule umhergelaufen. Dabei wurde ich entdeckt, doch leider gab es für mich keine liebevolle Hilfe, sondern einen heftigen, schrecklichen Fußtritt, der mich fast das Leben gekostet hätte, wenn nicht eine sehr liebe Schülerin beherzt dazwischen gegangen wäre, mich hochgenommen und fürsorglich in ihren Schal gewickelt hätte. Von da aus ging es dann erst zum Hausmeister, später landete ich dann im Schuhkarton auf dem Schreibtisch der Lehrerin Frau Kanha, die mich am nächsten Tag bei einer Tierärztin vorgestellt hat. Diagnose: Schwerer Schock durch starken Tritt, blutige, offene Stellen an der Schnauze, am Schwanz und im Stachelkleid und ein stark geschwollenes Vorderbein. Ich wurde mit einem Antibiotikum und einem Schmerzmittel versorgt und die nächsten zwei Tage mit Igelfutter bei Frau Kanha und Frau Kuhn zu Hause gefüttert.
Dann ging die Reise für mich weiter, und ich bin in das Igelhaus in Laatzen eingezogen. Man weiß dort noch nicht, ob ich eventuell auch noch innere Verletzungen habe und ob ich überleben werde, aber die Chancen seien doch ganz gut. Sie haben mir den Namen Alex gegeben, nach meiner Retterin Alexandra auf dem Schulhof, die mich dem Jungen weggenommen hat. Danke, liebe Alexandra.
Euer Igel Alex, der ganz tapfer ist und hofft, dass er noch die nächsten Sonnenstrahlen erleben darf. Ich halte Euch über meinen Gesundheitszustand auf dem Laufenden.
5.3.
Liebe Alexandra, liebe Schülerinnen und Schüler, hier nun wie versprochen News über meine Entwicklung:
Mir geht es den Umständen entsprechend gut! Die Vorderpfote ist fast völlig abgeschwollen, die Rötungen am Schwanz und an der Nase sind zurückgegangen und ich mag fressen, wenn auch nicht sehr viel. Sehr aktiv bin ich noch nicht, aber die Menschen sind sind wohl alle ganz zufrieden mit mir. Mein Gewicht liegt heute bei 740 g, das Normalgewicht für mich als erwachsenen Igelmann wäre doppelt so viel. Ich bin ein wirklich sehr ausgehungerter, heruntergekommener Igel – so geht es vielen meiner stacheligen Artgenossen in der Stadt. Außerdem haben die Menschen hier ein Band um meinen Bauch herum gefunden und abgemacht. Das hatte an einer Mülltüte gehangen, in der ich im Herbst nach Fressbarem gesucht hatte, und sich wie eine Schlinge um mich zugezogen.
Wenn ich weiter zunehme und in ein paar Tagen richtig stabil sein sollte, werde ich nochmal einer Tierärztin vorgestellt. Sie wird entscheiden, ob eine Röntgenaufnahme oder ein Ultraschall nötig sein werden und wie ich dann weiterbehandelt werden muss. Bis dahin bin ich weiter tapfer!
Euer Igel Alex – ich hoffe, ich kann Euch bald Gutes berichten.
8.3.
Liebe Alexandra, liebe Schülerinnen und Schüler, hier nun die neuesten Entwicklungen:
Vorgestern hat sich Frau Göpner, während sie im Igelhaus die Medikation machte, meine noch immer sehr verschorfte Nase angesehen. Bei leichtem Druck ist an zwei Stellen sofort Eiter ausgetreten. Der schon am Vortag eingeweichte Schorf wurde dann mit Wattestäbchen und Pinzette entfernt, und die darunter befindlichen Höhlen wurden sorgfältig mit Wattestäbchen gesäubert. Ich habe bei der ganzen Prozedur keine Gegenwehr geleistet, sondern tapfer alles über mich ergehen lassen. Jetzt sind zwei offene, ca. 4 mm tiefe Wundhöhlen zu sehen, die dann auch noch mit einem Lokalantibiotikum behandelt worden sind.
Mein Vorderbein ist doch wieder angeschwollen, also wurde mein Pfötchen in Kamillenbad gebadet und an dem Schorf gewackelt, um ihn zu lösen. Frau Göpner vermutete, dass darunter auch Eiter saß. Es tat auch entsprechend weh. Schließlich ging der Schorf ab, und der Eiter ließ sich entfernen. Und dann passierte das alles auch noch an meinem Schwänzchen. Das war alles sehr grässlich, aber hinterher waren diese drückenden Entzündungsschmerzen besser.
Meinen Teller fresse ich mittlerweile leer! Euer Igel Alex.
11.3.
Gestern war ich mit Frau und Herrn Göpner bei der Tierärztin des Igelhauses in der Praxis. Dort wurde ich angenehm mit einem Narkosemittel in Halbschlaf versetzt und habe nur wie durch Milchglas mitbekommen, dass die Absezze ziemlich radikal mit scharfkantigen Metalllöffeln von Eiter befreit wurden. Die drei Löcher auf dem Nasenrücken haben schon tunnelähnliche Verbindungen untereinander und leider auch in den Nasenraum. Der Abszess im Schwänzchen hatte ebenfalls nochmal neuen Eiter gebildet, aber aus dem Zeh ist nichts mehr herausgekommen! Er ist zwar noch dick, heilt aber ab, und das Röntgenbild hat gezeigt, dass nichts gebrochen ist. Die Tierärztin sagte, das Entscheidende werde sein, ob man die Entzündung aus dem Nasenrücken rausbekäme und ob die Löcher so wieder zuheilen, dass keine Verwachsungen in der Nase entstehen, die mich später am Atmen und Riechen hintern und einen ewigen Keimherd darstellen würden.
Ab sofort bekomme ich außer dem Antibiotikum, das mir täglich gespritzt wird, noch ein zweites, das gegen Bakterien wirkt, die im sauerstofffreien Milieu leben. Das gibt es nur in Tablettenform. Man muss die Tablette mörsern und das Pulver zwölfteln (!). Davon soll ich dann sechs Tage lang morgens und abends ein Zwölftel mit durchgesiebtem Gourmet-Katzendosenfutter aus der Spritze gefüttert bekommen.
Und: Die Abszesse müssen ab sofort jeden Tag mit Rivanol gespült werden. Nachher werden die neu gebildeten Krusten auf den Wundhöhlen also wieder abgemacht und jeder Abszess wird drei Minuten durchgespült. Alle sind sehr gespannt, was im wahrsten Sinne des Wortes dabei herauskommt.
Weil das alles sehr aufwändig ist und ich konsequent zweimal am Tag behandelt werden muss, haben mich die Göpners übrigens gestern nach dem Tierarztbesuch mit zu sich nach Hause genommen. Dort ist eine Igelstation mit viel viel weniger Boxen, von denen ich jetzt in der Box wohne, die auf einer kleinen Rollheizung steht.
12.3.
Liebe Alexandra, liebe Schülerinnen und Schüler,
eben habe ich die heutige Spülung meiner Wunden erhalten. Bis auf einen winzigen Pfropf in einem der Löcher auf dem Nasenrücken hat nichts von Neuem geeitert!
Ich finde das sensationell und bin total happy. Als ich heute morgen mein gemörsertes Tablettenzwölftel gefüttert bekam und dazu auf dem Rücken in der Hand von Frau Göpner lag, entdeckte sie eine ca. 2 cm lange und 1,5 cm breite Fläche an der linken Flanke, auf der sich ein sehr leicht zu lösender Schorf befand. Er ging so leicht ab, weil flächig Eiter darunter war. Als sie mir diesen abgespült hatte, blutete es, und die Wunde sah rosig und gesund aus. Sie sagte mir, dass das jetzt ohne Komplikationen abheilen werde.
Oberhalb vom Schwanz im Stachelansatz fand Frau Göpner noch eine ca. 1-Cent-große Stelle, die nicht entzündet war.
Beim Baden des Vorderfußes hatte ich plötzlich die Idee, das gelbe Badewasser zu trinken… Schnell wurde für mich neben das Badeschüsselchen ein Wassernapf gestellt, und dann habe ich meinen Fuß gebadet und gleichzeitig begierig volle 3 Minuten lang Wasser getrunken.
Später wurde ich wieder in meine Box gesetzt, und als mir Frau Göpner dort den Wassernapf vor die Nase stellte, habe ich sie angefaucht. Sie war aber nicht beeindruckt, sondern hat sich darüber gefreut.
Euer Igel Alex – ich hoffe, ich kann Euch bald Neues berichten.
13.3.
Heute habe ich wieder während des Fußbadens Wasser getrunken, dann kam das Füttern mit der Spritze, das ich immer besser finde.
Außer der einen Stelle, die leider schon Verbindung zur Nasenhöhle hat, war heute beim Spülen alles eiterfrei. Aber das mit dem Eiter in der Nase mit direkter Verbindung zur Lunge ist natürlich ein Dämpfer für meinen Optimismus. Hoffen wir, dass alles gut wird, bis dahin ist es aber noch ein langer Weg.
Euer Igel Alex, ich hoffe, ich kann Euch bald wieder berichten.
16.3.
Liebe Alexandra, liebe Schülerinnen und Schüler, hier nun wieder aktuelle News von mir aus der Igelstation!
Die super gute Nachricht ist, dass außer dem Zeh nichts mehr eitert! Das zusätzliche Antibiotikum und das konsequente Spülen haben Wirkung.
Beim Füttern mit püriertem Katzendosenfutter (in dem das Antibiotikum und eines der Entwurmungsmittel untergerührt sind) schnappe ich mittlerweile wie eine Schlange mit vorschnellendem Kopf nach der Spritze und nehme sie dann in ihrem vollen Umfang in die Schnauze, so weit, bis sie in meinen Rachen reicht. So gut schmeckt das!
Außerdem fresse ich nachts wie entfesselt und habe von vorgestern auf gestern von 845 g auf 911 g in einer einzigen Nacht zugenommen! Ich entwickle Bärenkräfte und will seit neuestem nicht mehr, dass der Fuß oder der Schwanz gebadet werden. Also werden nun alle Wunden mit der Spritze durchgespült.
Nur der Zeh beunruhigt: es kommt jeden Tag eine Eitermenge heraus, die so groß ist wie ein Stecknadelkopf. Seit gestern sind weiße Gewebestückchen dabei; in der Wundhöhle wuchert sogenanntes “wildes Fleisch”, das vom Körper als Fremdkörper identifiziert wird. Und deswegen hört es nicht auf zu eitern. Ich befürchte, dass ich sehr bald nochmals zur Tierärztin muss, um die Wundhöhle auszuschaben.
Zum Schluss wurden alle Wunden bzw. Wundhöhlen mit einem Antibiotikum bestrichen bzw. gefüllt, das eigentlich ein Medikament gegen Kuheuterentzündungen ist, aber bei Abszessen bei Igeln fantastisch wirkt!
Seit gestern habe ich ein Pappschlafhaus mit extragroßem Eingang bekommen und ich bin selig, dass ich mich nun richtig zurückziehen kann.
Euer Igel Alex, ich hoffe, ich kann Euch bald wieder berichten.
18.3.
Liebe Alexandra, liebe Schülerinnen und Schüler, hier nun wieder aktuelle News von mir aus der Igelstation!
Inzwischen hatte ich endlich ein schönes sauberes Plastikschlafhaus wie alle anderen Igel bekommen, denn das Pappschlafhaus hatte ich ziemlich schnell eingeweicht und dann zerlegt! Aber heute hat mir plötzlich Herr Göpner ein Stück Plastik vor meinen Schlafhauseingang geklebt, so dass ich nicht mehr raus konnte!
Dann fuhren wir im Auto und ich kapierte: Ein neuer Besuch bei der Tierärztin stand an. Dort auf dem Behandlungstisch angekommen, hat Frau Göpner meinen Fuß festgehalten, und die Tierärztin hat mit einem fiesen Metalllöffel in dem Loch in meinem Zeh geprokelt, nachdem zum zweiten Mal heute wieder Eiter herausgekommen war. Frau Doktor sagte dann, dass das Gelenk des Zehs entzündet und ein Eiterherd sei. Nun bekomme ich ab sofort noch ein neues Antibiotikum, das sich speziell in Knochen, Zähnen und Gelenken anreichert. Wenn es gegen Ende dieser Woche nicht deutlich besser geworden ist, müsse am kommenden Montag der Zeh amputiert werden. Das Gefährlichste daran wäre die Narkose, weil ich ja vor einer Woche schon eine hatte und die Schwächungen der letzten Zeit mir noch im Körper stecken. Ich wäre nicht einverstanden damit, nicht wieder aufzuwachen… Aber wenigstens hat meine Ärztin alle anderen Stellen, die verletzt gewesen waren, außerordentlich gelobt: vor allem auch die Nase. Ab sofort muss dort nichts mehr durchgespült werden, und auch das Schwänzchen heilt jetzt zu, und die beiden flachen Wunden am Rand des Stachelkleides sowieso. Schließlich kam ich wieder in das verschlossene Schlafhaus, und der Automotor brummte. Als das Plastiktor abgemacht wurde, habe ich sofort meinen Kopf rausgesteckt und erleichtert festgestellt, dass wir wieder zu Hause waren. Und jetzt gibt es gleich lecker Fressen, erst aus der Spritze und dann aus dem Napf.
Heute morgen habe ich 982 g gewogen,und morgen früh will ich die 1-Kg-Marke schaffen. Bitte schickt mir in Gedanken Kraft, Euer Alex.
20.3.
Liebe Alexandra, liebe Schülerinnen und Schüler, hier nun vor dem Wochenende News von mir aus der Igelstation!
Gestern und heute habe ich wie irre gefressen und wiege jetzt fast 1100 g! Die Schorfe auf meiner Nase haben heute nacht gejuckt. Man sagt ja, dass es dann heilt…Ich konnte mich leider nicht beherrschen und habe ordentlich dran rumgekratzt. Es hat dann wieder geblutet, und Frau Göpner war sauer, hat alles mit Rivanol beträufelt und Honigsalbe draufgeschmiert. Jetzt rieche ich total nach Honig. Der Zeh hat heute wieder geeitert, nachdem gestern zu aller Freude nichts rausgekommen war. Es ist also noch gar nichts entschieden, was eine eventuelle Amputation betrifft. Es wird schon alles gut werden – „Ein Igel, der gar nicht mehr untergewichtig ist, hat alle Chancen!” sagen sie. Aber trotzdem ist eine eventuelle Operation am Montag ein sehr großes Risiko für mich. Deshalb hofft, dass der Fuß übers Wochenende doch noch heilt!
Euer Igel Alex, ich hoffe, ich kann Euch bald wieder berichten.
24.3.
Liebe Alexandra, liebe Schülerinnen und Schüler, hier nun nach dem Wochenende und Montag News von mir aus der Igelstation!
Mir geht es sehr, sehr gut! Die Tierärztin freut sich mit mir, dass der Zeh seit Donnerstag nicht mehr eitert, und es wurde einstimmig beschlossen, erstmal nicht zu amputieren. Meine Tierärztin meinte, dass der Zeh auch längst nicht mehr so dick und rot sei. Und selbst wenn es nicht abheilen sollte und doch noch operiert werden muss, sei jede Reduzierung der Entzündung ein großer Vorteil.
Heute morgen wog ich übrigens 1159 g, ein richtiger runder Igel bin ich inzwischen. Und durch das viele Biotin bekomme ich jetzt ganz entzückende, bereits 4mm lange Haare unterm bisher nackten Bauch.
Euer Igel Alex, ich hoffe, ich kann Euch bald wieder berichten und DANKE, dass Ihr immer so fest an mich denkt!
27.3.
Liebe Alexandra, liebe Schülerinnen und Schüler!
Gestern Abend ist auf meiner Nase der mittlere Schorf abgegangen. Leider ist darunter noch ein offener Schlitz, der direkte Verbindung zu meiner Nasenhöhle hat: Die Ränder bewegen sich im Rhythmus des Atmens, und wässriges Nasensekret wie aus den zwei von der Natur vorgesehenen Nasenlöchern kommt auch raus. Die Tierärztin hat heute Morgen am Telefon gesagt, dass das von selbst zuheilen muss. Man kann es nicht nähen oder kleben. Frau Göpner hat sehr auf mich eingeredet, dass ich kein Futter reinschmieren soll und nicht kratzen darf. –
Der blöde Zeh hat doch wieder geeitert, auch heute wieder. Frau Göpner hat es, für mich unverständlich, positiv gedeutet, dass ich zum ersten Mal seit langer Zeit beim Spülen zusammengezuckt bin und also noch Gefühl in dem Zeh habe. Noch ist die Hoffnung nicht aufgegeben, dass der Zeh erhalten bleiben kann.
Das Abheilen der Nase ohne erneute Komplikationen ist jetzt viel wichtiger. Das alles hält mich nicht davon ab, die Spritzen mit dem antibiotischen Pulver und vor allem meinen Napf mit großer Begeisterung leerzufressen. Ich wiege jetzt 1259 g!! Bald gibt es bestimmt eine deutliche Tendenz, wie es weitergeht. Bis dahin drückt mir die Daumen!
Euer Alex. Ich hoffe, ich kann Euch bald wieder berichten!
April
Liebe Alexandra, liebe SchülerInnen und Schüler!
Die Neuigkeiten von mir, auf die Ihr vielleicht jetzt nach den Ferien schon wartet, sind richtig gut. Wie ja einige schon von Euch wissen, musste mein Zeh dann doch operativ entfernt werden.
Er ist sehr schön geheilt! Als ich sowieso schon in Narkose lag, hat die Tierärztin mir gleich noch den ganzen gelben Zahnstein von den Backenzähnen entfernt und vier marode Zähne gezogen.
Nachdem ich mich von der OP erholt hatte, bin ich insgesamt viermal in einem medizinischen Bad gegen meinen Hautpilz gebadet worden.
Jetzt juckt es nirgends mehr, und deshalb konnte ich endlich in Ruhe weiter fressen: Ich bin stolz darauf, jetzt 1490 g zu wiegen!! (Wisst Ihr noch? Als das mit dem Fußtritt passierte, wog ich 694 g. Das kann ich mir gar nicht mehr vorstellen!)
Den dicken schwarzen Schorf von der Stelle, an der mein eiternder Zeh amputiert wurde, hat mir Frau Göpner neulich mit der Pinzette abgemacht, weil der irgendwie nicht gut aussah. Und tatsächlich: Da war noch ein vierter geknoteter Faden von der OP drin, von dem die Tierärztin, die die Fäden gezogen hat, nichts wusste, denn die OP hatte ihre Kollegin gemacht. Und es sind eigentlich nur drei geknotete Fäden üblich. Nach dieser Schorf- und Fadenentfernung war am nächsten Tag nur noch ein ganz flacher, hellbrauner Schorf da, der demnächst abgehen könnte.
Ich warte sehr darauf, denn wenn es soweit ist, darf ich in den göpnerschen Garten zu all den anderen frei lebenden Igeln, hat mir Frau Göpner versprochen. Es fahren in dem Wohnviertel nachts so gut wie keine Autos, und es wird bis zum nächsten Winterschlaf immer etwas zu Fressen hingestellt, falls ich und meine Artgenossen nicht genug natürliches Nahrungsangebot finden. Nette Igeldamen gehen dort auch ein und aus, hat Frau Göpner mir schon verraten :-). In etwas sechs Wochen werden die Igeldamen ja so richtig interessant, ganz anders als zu den anderen Jahreszeiten. Und Anfang August bekommen die plötzlich vier bis zehn Kinder – aber dann gehe ich als Igelmann lieber meine eigenen Wege, denn das geht MICH nichts an!
Nun drückt mir die Daumen, dass an meiner Pfote der Schorf zwischen “Kleinem- und Mittelzeh” recht bald abgeht. Ich melde mich dann nochmal mit Fotos, die Herr Göpner mit Sicherheit machen wird, wenn ich in die Freiheit gehe!
Euer Alex. Ich hoffe, ich kann Euch bald wieder berichten!
6.5.
Liebe Alexandra, liebe Schülerinnen und Schüler! Heute melde ich mich zum letzten Mal bei Euch, denn ich durfte endlich in die Natur zurück, und da habe ich in Zukunft anderes zu tun, als Briefe zu diktieren!
Drei Tage, nachdem mein letzter Schorf von dem Zeh abgegangen war und die Stelle sich als absolut stabil gezeigt hatte, wurde abends mein Schlafhaus mit mir drin plötzlich an die frische Luft getragen. Dann stand es im Dunkeln, und mich wehte ein Duft aus Fichtennadeln, Erde und Freiheit an. Ich guckte erstmal vorsichtig raus und überlegte mir gründlich, ob ich aus diesem immerhin zwei Monate sehr sicheren Schlafhaus rausgehen sollte.
Aber als schließlich eine junge, neugierige Igeldame immer näher kam, dachte ich mir, jetzt wage ich es. Wir haben uns dann außerhalb des Schlafhauses beschnuppert – irgendwie kam mir ihr Geruch bekannt vor. Dann erschien auch noch ein Igeljüngling und war neugierig, wer da in seinem Dunstkreis aufgetaucht war. Auch der roch irgendwie vertraut, und da fiel mir ein, dass ich die Gerüche von den beiden aus der Igelstation kannte, wo sie wohl gleichzeitig mit mir Patienten in den Nachbarboxen gewesen waren.
Wir haben uns noch ein bisschen umkreist, aber dann sind wir alle unserer Wege gegangen. Nun muss ich die völlig unbekannte neue Umgebung erkunden und auch mal wieder einen frischen Käfer oder Tausendfüßler fangen. Da lasse ich das gewohnte Katzendosenfutter erstmal links liegen. Ich bin ja mit 1529 g dick genug und könnte ruhig ein bisschen abnehmen.
Vielleicht melde ich mich irgendwann mal wieder, wenn ich etwas Spektakuläres erlebt habe. Aber erstmal sage ich nun “Danke” für die Rettung und für all’ die Dinge, die für mich getan wurden. Selbst der Junge, der mich getreten hatte, war ja einsichtig und hat extra einen Job angenommen, um einen Teil der Tierarztkosten übernehmen zu können.
Einiges von dem, was bei mir im Argen lag und mir in naher Zukunft das Leben sehr schwer gemacht hätte, hatte mit dem Vorfall Ende Februar gar nichts zu tun: Das Entfernen der blöden Strippe, die ich um meinen Bauch hatte, die Zahnsanierung und die Hautpilzbehandlung wären nie passiert.
Dass Ihr mir die ganze Zeit so die Daumen gedrückt und an mich gedacht habt, hat auch ganz viel geholfen!
Und nun Tschüss und viele Grüße, Euer Alex.
Texte: Sonja Kuhn, Konganok Kanha, Gertraude Göpner
Fotos: Manfred Göpner
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Wie es dann weiterging:
Sommer: Alex fühlt sich im Göpnerschen Garten bald heimisch, wandert nicht ab!
28.08.: zwei erbsengroße Abszesse an der rechten Flanke und einer hinter dem rechten Ohr entdeckt, (Spätfolgen der Verletzungen durch die Tritte auf dem Schulhof?), hustend: Abszesssäuberung, Antibiotikum, erneute Entwurmung.
10.09.: Entlassung in den Garten, regelmäßiger Besuch der Futterstelle bis Anfang Oktober,
dann Winterschlaf irgendwo in unserem Garten oder in der Umgebung.
April des nächsten Jahres: Alex ist erwacht und taucht an der Futterstelle auf – noch relativ wohlgenährt, keine Aufnahme erforderlich.
20.07. (Vorabend unseres Sommerurlaubs): Alex ohne Fluchtreflex im Beet gefunden: an demselben Vorderfuß, an dem er 16 Monate zuvor schon einmal einen Zeh eingebüßt hatte, hängen Haut und Fleisch des Daumenzehs vom Knochen – höchstwahrscheinlich Verletzung durch Mausefalle.
In Station aufgenommen, Schmerzmittel, Alex wird während unseres Urlaubs Gast bei einem befreundeten Igelpfleger, Amputation des Daumenzehs, zweite Gebisssanierung mit Zahnextraktionen, Rekonvaleszenz.
25.09.: Entlassung in den Garten mit 1287 g Gewicht, regelmäßiger Besuch der Futterstelle bis Anfang Oktober, scheinbar alles in Ordnung.
Mitte November berichtet uns ein Nachbar stolz, er habe seinem neuen Nachbarn (4 Häuser von unserem entfernt) geholfen, einen Igel zu befreien, der durch den Belüftungsschacht in den Heizungskeller gestürzt und dort zwischen gratigen Heizungsrohren steckengeblieben war. Das Tier sei „wohl auch markiert” gewesen. Er habe dem Igel Wasser in einem Schälchen gegeben, das hätte er gierig getrunken. „Und dann habe ich ihn laufen lassen.” – Mitte November! Ohne uns das Tier zu zeigen, obwohl dem Herrn bekannt ist, dass wir hier eine Igelstation betreiben.
21.11.: Merkwürdige Unruhe treibt mich abends trotz Kälte in den Garten…Alex kommt mir entgegen, ist auf dem Weg Richtung Futterstelle, die ich beinahe schon beendet hätte. Er hat herausstehende Hüft- und Schulterknochen, Hungerfalte hinterm Kopf und scheinbar überlange Beine.
Aufnahme, Untersuchung: 858 g Gewicht, quer verlaufender, 3 cm langer Schnitt unter dem Hals, dessen Ränder weißlich, d.h. abgestorben waren und deshalb nicht zusammenwachsen konnten. Das läßt vermuten, dass es Alex war, der einige Tage zuvor aus dem Heizungskeller geborgen worden war (ohne die Verletzung zu entdecken…). Haut auf dem linken Vorderfuß-Rücken war komplett abgeschürft. Weißer Schaum vor der Nase, rasselnde Atmung.
Entfernung der weißen Gewebeteile entlang des Schnittes nach telefonischer Rücksprache mit der Tierärztin, Abhören mit dem Stetoskop: leichte Lungengeräusche. Vermutung der Tierärztin: Primärinfektion der oberen Atemwege resultiere aus Verwachsungen der Naseninnenräume nach den Verletzungen durch den Fußtritt eindreiviertel Jahre zuvor.
4.12.: Wunde unterm Kinn zugeheilt, Atemwegsinfektion durch Antibiotikum beseitigt, Gewichtszunahme auf 1245 g. Hautpilzerkrankung wieder aufgeflammt, nach Behandlung am
23.12. mit 1405 g Gewicht in den Winterschlaf in der Pappbox in unserem Gartenhaus umquartiert.
04.04. des Folgejahres, gut 2 Jahre nach dem Fußtritt: Alex ist mit 1048 g Gewicht erwacht, Umzug zum Hochfüttern in die warme Igelstation.
09.04.: Alex bricht aus seiner Box aus: Aufs Schlafhaus geklettert, von dort die Abdeckung der Box hochgedrückt und auf die Abdeckung der Nachbarbox gestiegen, an deren Ende abgesprungen auf den Fußboden hinunter. Obere Schneidezähne ausgeschlagen, tierärztliche Untersuchung: glatter Unterkieferbruch vorne mittig, blutende Platzwunde innerhalb der Schnauze. 14 Tage Anitbiotikum, Schmerzmittel und Handfütterung, danach frisst er wieder selber, zuerst nur Breifutter, ab 18.05. wieder Normalfutter.
12.05.: Entlassung in den Garten mit 1258 g Gewicht, regelmäßiger Besuch der Futterstelle
11.06.: an der Futterstelle mit 1348 g Gewicht aufgegriffen wegen starken Zeckenbefalls, bis 14.06. interniert, um nach und nach insgesamt 122 Zecken zu entfernen.
19.08.: im Garten als Häufchen Elend entdeckt: abgemagert auf 843 g, an die 1000 (ungelogen!) Zecken, stark vereitertes Auge, Atemwegsinfekt, Zahnfleischentzündung und wackelnder Klumpen aus Backenzahn und Zahnsteinumhüllung.
Entfernung des Backenzahns und Behandlungsplan durch Tierärztin, Bad gegen die Zecken, Antibiotika, Schmerzmittel, Schleimlöser, Handfütterung, Inhalationen, Kortison.
31.08.: Alex frisst wieder selber und wiegt immerhin schon wieder 1018 g.
09.09.: „Grützbeutel” von der Größe einer Kidneybohne links neben dem Schwanz an der Stelle entdeckt und entleert, an der nach den Fußtritten auf dem Schulhof eine der eiternden Wunden gewesen war. Entzündungsherd und Schleimbildung in den linken Nasenräumen unverändert, wahrscheinlich aufgrund weiterer vereiterter Zahnwurzeln im Oberkiefer.
23.09.: Entfernung der letzten 2 Zahnrelikte im linken Oberkiefer durch die Tierärztin. Alex hat nun nur noch die beiden unteren Schneidezähne: Breifutter und Verabschiedung des Gedankens an eine Auswilderung.
14.10.: Ausprobieren eines neuen Antibiotikums gegen die noch immer andauernde Entzündung der linken Nasenräume. (Wahrscheinlich doch ausgelöst durch Verwachsungen infolge der Nasenrücken-Verletzungen durch die Fußtritte auf dem Schulhof vor 2 1/2 Jahren). Das Antibiotikum hilft!
03.11.: mit 1355 g Gewicht zum Winterschlaf in der Pappbox in unser Gartenhaus umquartiert.
25.04., gut 3 Jahre nach dem Fußtritt: mit erheblichem Hautpilzbefall aus dem Winterschlaf erwacht, Gewicht: 955 g.
09.06.: Nach gründlicher Behandlung des Hautpilzes und Erreichen eines stattlichen Gewichts von 1232 g: Abschied vom Garten in Laatzen und Umsiedlung zu der mit uns befreundeten Igelpflegerin Maria Kellner in Jelmstorf ins Freigehege, um bei Breifutter und unter Beobachtung an der frischen Luft und halbwegs naturnah seinen Lebensabend zu verbringen. Denn praktisch ohne Zähne und mit nicht mehr allzu großen Widerstandskräften hätte er jetzt in der Natur nicht mehr lange überlebt.
29.07.: Alex ist für immer eingeschlafen. Er hat sich einige Wochen lang im Freigehege sehr wohl gefühlt, aber dann hörte er auf zu fressen. Frau Kellner nahm ihn in häusliche Intensivpflege, und ein Abstrich beim Tierarzt ergab einen neuerlichen Pilzbefall, dieses Mal aber innerlich, im Verdauungstrakt. Nachdem der Pilz im Darm erfolgreich therapiert war, befiel er die Lunge und zog eine Lungenentzündung nach sich. Durch geeignete krampflösende Medikamente hat Alex keine Luftnot gehabt und nicht gelitten. Zuletzt schlief er fast nur noch und hörte in der Nacht schließlich irgendwann auf zu atmen. Ganz sachte und sanft.
Alex ist nach meiner Schätzung 7 Jahre alt geworden. Selbst für einen Igel ohne Alex’ extrem unfallträchtige Lebensgeschichte ist das ein ziemlich hohes Alter. Alles Ungemach, das ihm widerfahren ist, war menschengemacht: die Müllbeutelschnur um seinen Leib, die Fußtritte, die Mausefalle, der Absturz in den Heizungskeller und letztlich auch der Sturz in unserem Pflegeraum. Der Aufwand, der mit ihm betrieben worden ist, mag mit Stirnrunzeln betrachtet werden. Aber man bedenke, dass die Schülerschaft einer ganzen Schule durch dieses Tierschicksal für die Belange und Lebensberechtigung der heimischen Wildtiere sensibilisiert worden ist. Alex ist quasi zum Symbol geworden, und Manfred und Gertraude Göpner konnten ihn nun nicht zu guter Letzt doch noch einem Hunger- oder Fliegenmaden-Tod in der Natur aussetzen.
Hoffen wir, dass er nicht so sehr seine Affinität zu Unglücksfällen, sondern seine enormen Lebenskräfte vererbt hat!
Alex, wir alle haben Dich sehr lieb gehabt.
©Gertraude Göpner